AllgemeinVeranstaltung

Am 19. April fand im Democracy Lab des Progressiven Zentrums das vierte “Democratic Innovation Dinner” statt. Ziel dieses wiederkehrenden Veranstaltungsformats ist es, in einem persönlichen Rahmen eine diverse Gruppe unter Chatham House Rules an einem Tisch zu vereinen und gemeinsam Lösungen für eine konkrete Fragestellung zur Zukunft der Demokratie zu entwickeln.

 

Thema dieses Dinners war “Bürgerzentrierte Verwaltung in einer digitalisierten Welt”.  Dabei wurden Ansätze aus dem bürgerzentrierten Design vorgestellt, die die Neuausrichtung von Staat und Verwaltung vorantreiben könnten.

Um diese Fragen zu besprechen wurde Sebastian Muschter, ehemaliger Leiter des Lageso in Berlin und nun Senior Vice President  bei der Bertelsmann Stiftung im Bereich Transfer und Skalierung, als Input-Geber eingeladen. Eine kurze Einführung über die Grundsätze des Service Designs gab Andrej Balaz von IXDS GmbH. Sven Stegemann von Open State gab Einblicke in ein das Projekt “Refugee Open Cities”, in dem bürgerzentriertes Design und Verwaltungswelt aufeinander getroffen sind.

 

Zuständigkeiten, Denkmuster und Traditionen: Die Innovationshürden in der Verwaltung

Zunächst wurde auf die strikten Zuständigkeiten in der Verwaltung hingewiesen, die von einigen Teilnehmenden als Herausforderung und “Innovationsbremse” wahrgenommen wurden, während andere das nicht als Problem empfanden; andere hingegen gingen darauf ein, dass  JuristInnen in der deutschen Verwaltung überdurchschnittlich vertreten seien und ein bestimmtes Muster der Problemlösung an den Tag legen würden – so sei für viele “das Gesetz das Ende des Problems und nicht der Anfang”.

Auf zwei Punkte konnten sich die MitdiskutantInnen einigen: In der Verwaltung sollte mehr Austausch stattfinden – immerhin gibt es keine Konkurrenz wie im Privatsektor. Und Innovation sei in Deutschland vor allem ein Denkmuster-Problem: In der Politik sieht man Innovation nicht als Kernthema, mit dem man Wahlen gewinnt. PolitikerInnen können sich nicht über das Thema profilieren, und so fehlen die Anreize für mehr Innovation in der Verwaltung.

Daraufhin ging es um das Thema des “Erbes” und der Traditionen in der Verwaltung – in manchen Bereichen hätten sich die Dienstleistungsportfolios über Jahre hinweg entwickelt, die schwer zu verändern sind, auch wenn dadurch die Verwaltung insgesamt effizienter gestaltet werden könnte. Dieses Thema entfachte eine Debatte zur Frage, welche Verwaltungen “geschützt” werden und welche effizienter gestaltet werden müssen. Für BürgerInnen sind Schulen, Kitas, Bürgerämter, Infrastruktur und lokale Politik von großer Relevanz, nicht zuletzt um das Gefühl des “Verlassenseins” entgegenzuwirken, die in die Hände populistischer Parteien spiele. Allerdings sei es nicht notwendig, die “Verwaltung der Verwaltung” dezentral zu gestalten, wie beispielsweise IT, Facility Management oder die Finanzverwaltung.

Schließlich wurde noch auf Datenschutzvorkehrungen hingewiesen, die zwar moralisch sinnvoll sind, manchmal doch inkonsistent seien. So werden oft Daten in zwei verschiedenen Verwaltungssystemen eingegeben, wofür IT-Unternehmen zum Teil doppelte Wartungsgebühren erheben. Auch das Vergaberecht sei eine “Innovationsbremse”, die zwar da sei, um Korruption zu verhindern, obwohl das in Deutschland nicht das hauptsächliche Problem sei.

 

Kunde vs. Bürger? Das Spannungsfeld zwischen Demokratie und Effizienz

Diese Debatte mündete daraufhin zu einer grundsätzlichen Fragestellung zum deutschen Föderalismus und der Gewaltenteilung, die in Deutschland so grundlegend sei für die Demokratie. Hier stellte sich wieder die Frage, was genau “demokratiegefährdend” sei, und ob es ein Spannungsfeld zwischen Demokratie und Effizienz gebe.

Während der Debatte trafen die Ansichten der Teilnehmenden aus Parteien und Universitäten auf die der BeraterInnen und dem Privatsektor. So wurde darauf hingewiesen, dass “Legitimation nicht kundenfreundlich” sei – Fairness und Gleichbehandlung seien mindestens genauso wichtig wie Effizienz, wenn nicht sogar mehr. So könne man nicht von “BürgerInnen” als Kunden reden, weil die Aufgaben des Staates grundlegend unterschiedlich seien von denen, die Privatunternehmen leisten würden und können. Man solle sich immer die Frage stellen, inwieweit Innovation zum Wohle der BürgerInnen beitrage.

Darüber sei die gefühlte “Ineffizienz” der Verwaltung keine Absicht, sondern folge aus der Komplexität der Verwaltungsfragen, wie beispielsweise die Vergabe von Sozialleistungen, die aufgrund von individueller Einzelfallgerechtigkeit komplex sei – man denke an die Pauschalisierungen von Hartz IV oder die Grundsicherung. Schließlich gäbe es falsche Gerüchte zur Ineffizienz der Verwaltung – hier wurde darauf hingewiesen, dass der Privatsektor nicht unbedingt effizienter ist – man denke an die (fehlende) Kundenfreundlichkeit von Tarifen und Services der Telekommunikationsbranche.

 

Modernisierung der Verwaltung: Politik oder “Design”-Frage?

Schließlich wurde auf die Frage eingegangen, wie Verwaltung funktioniert, wenn sie grundlegendem und schnellen Wandel ausgesetzt ist, wie 2015 während der Flüchtlingskrise. Das sei eng damit verbunden, wie man einen Sozialstaat modernisiert und digitalisiert. Besonders schwierig sei es bei dieser Herausforderung zu wissen, ob es sich um eine reine “Design”-Frage handele oder doch um eine Frage, die politisch gelöst werden müsse.

Fest steht: Verwaltung steht von der großen Herausforderung des digitalen und gesellschaftlichen Wandel. Wie genau damit umzugehen sei, wurde mit einem ExpertInnen-Dinner zwar noch nicht geklärt. Und genau aus diesem Grund müsse das Thema weiterhin weit oben auf der politischen Agenda stehen.